Nebenprodukt eines bisherigen Lebens

Hier ging es los, ging es zu Ende. Das Ortsausgangsschild, gelb, mit abgerundeten Ecken, dörflich-suburban, markiert den Grenzstreifen: 2 km. Niemand darf im Niemandsland landen außer wir; Karl Marx wäre heute zweihundert geworden. Stattdessen ein Zeitungsabonnement. Eine kleine Schwärmerei. Ein Pfarrhaus, ein Stadthaus, ein Bootshaus, eine Insel. Es klappert eine Mühle am rauschenden Bach, inflationierend rauscht die Wirtschaft diesen herunter, es herrscht Krieg, andersderswo zwar, Flucht, der letzte Müller am Strick, im Garten ein Galgen, der keiner ist. Alles riecht nach Anfang – riecht nach Zitronenmelisse, riecht nach Kompost, riecht nach Tonerfeinstaub, nach Lehm, nach Abgasen, nach Morgentau; das aber nur in Gedanken, denn es herrscht zurzeit Trockenheit. Karger Boden, Steine, Schindeln. Und dazwischen: allmählich vergrauende Bilder, Klatschmohn in Hülle und Fülle.

Sie betritt das Schulgebäude, er an ihrer Seite. Ihr nach, wie früher. Zwei Flaschen Rotwein zum Einstand, zum Ausstand. Und rückwärts läuft ein Film ab, eine Musik kehrt zurück, ein kleiner Mann – kein Knabe – liegt inmitten spröder Halme, bäuchlings, den Kopf unter größter Anstrengung und Rotfärbung emporgereckt, eine Decke daneben, darunter, in Teilen. Die Spule am Ende, in entgegengesetzter Richtung ablaufend ein Film – nicht derselbe, nicht einmal der gleiche – die von selbst sich kolorierenden Bilder legen sich auf zuvor Vergrautes, Vergrauendes.

Ausgetretene Pfade verstellen den Blick für die Suche nach dem eigenen Weg zum Mühlenbach hin. Komme ich dir gehetzt vor?, will er wissen, Mehl und Wasser zu einem Teig verknetend. Keine Kritik wolle sie äußern, nur wertschätzend wahrnehmen – und ein Regenschauer eröffnet das Literatursymposium, eröffnet den Sommerempfang, eröffnet den Eröffnungsgottesdienst. Zwei Flaschen Wein als Opfergabe für Dionisos, Bier und Sportwetten, abfälliges Gerede über die da drüben, joviale Freundlichkeit – Formen von Gemeinschaft können zuweilen recht unterschiedlich ausgeprägt sein. Katzenfuttergeruch irritiert kurz, das Verrücken der angemulchten Blechschüssel zeigt jedoch ein baldiges Ende an.

Gut!, sagt er zu sich selbst, zwar älter geworden, aber auch beweglicher, und muss unvermittelt an evangelische Männerarbeit denken. Und dann denkt er bei sich: Eigentlich ein Abfall-, ein Nebenprodukt, das alles, und betrachtet den Kompost, seine künftige Aufgabe: Abfall, der in der Lage ist, neues Leben zu gebären, und denkt: Hier geht es los, geht es zu Ende.

2018

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